KARL V. WESTERHOLT    Fotografie, Texte - künstlerische Arbeit                                                                                       Einleitung  <  Der gelbe Fleck  <  Home 


graue Linie


DER GELBE FLECK ist eine Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus, mit Faschismus, mit dem Dritten Reich. Mit Manifestationen menschlichen Verhaltens, die einem eigentlich niemand so recht erklären kann – weil sie zu entsetzlich sind, als daß Worte sie beschreiben oder Gedanken sie fassen könnten. Eigentlich ist es genau das: Ich habe versucht mit der Namenlosig­keit dieser Erscheinungen umzugehen.  Das war zumindest mein persönliches Motiv, vermute ich. Mit der Namenlosigkeit dieses ganzen Kapitels mensch­lichen Verhaltens, das weder Natur- noch Geisteswissenschaften mir nahezu­bringen vermocht hatten. Nicht so zumindest, daß ich es wirklich hätte verstehen können, daß ich wieder ruhig hätte schlafen können sozusagen – in der Gewißheit, daß nun, wo die Fallstricke benannt und beschrieben sind, das Böse von der Welt vertilgt ist und nicht mehr an jeder Straßenecke lauert. So habe ich versucht, mir ein Bild zu machen, wo die Worte gescheitert waren.

Ich kann nicht mehr genau benennen, was mich auf den Gedanken zu dieser Arbeit gebracht hat. Es kommt mir so vor, als sei es ganz von allein ge­schehen, daß ich mich diesem Gegenstand zu widmen begann. So kann es natürlich nicht gewesen sein, aber es ist mir offensichtlich ein Bedürfnis gewesen. Ich dachte damals, vielleicht würde jeder Deutsche irgendwann in seinem Leben einmal das Bedürfnis verspüren, sein Verhältnis zu Faschismus klar und deutlich zu formulieren und einen Umgang mit diesem Thema zu finden – jeder für sich, unabhängig von öffentlichen Diskussionen, damit es ein für allemal vom Tisch des Seelenhaushalts ist. Und daß nun eben die Reihe an mir sei.

DER GELBE FLECK ist ein Künstlerbuch – 34 Fotografien und 13 handschrift­lich auf leere Seiten Fotopapier gebrachte Texte zu einem Buch gebunden.

Die Bilder sind in Monumentalbauten nationalsozialistischer Architektur entstanden, in Berlin, vornehmlich im Olympiastadion, dem Flughafen Tempelhof, dem ehemaligen Luftfahrtministerium und den ehemaligen Botschaften Italiens und Spaniens. Solche Bauwerke üben eine Art schaurige Faszination auf mich aus, ähnlich jener, die auch der Anblick eines Haifischs auf mich ausübt – das materialisierte Böse. Eine vollkommene Tötungsma­schine. Ein Ding ohne Gewissen, dessen einziger Zweck es ist, sich seine Existenz und Herrschaft zu erhalten. Wobei den Haifischen hier freilich Unrecht geschieht.

Das Buch ist sparsam durchsetzt mit doppelseitigen Fotografien – nahezu unkenntliche Ausschnitte von Bilddokumenten aus der Zeit des Nationalsozia­lismus, entstanden in Vorführsälen und vor Diaschaukästen historischer Museen.

13 Textfragmente beschreiben verschiedene Momentaufnahmen und Episoden aus dem Leben eines Verfolgten, der sich aufmacht seine Verfolger zu belauern, sie zu beobachten und ihnen nachzustellen, weil er entdeckt, daß er sich nur so vor ihnen sicher fühlt. Am Ende seiner Odyssee steht er im Waschkeller des obersten seiner Verfolger. Er wühlt in dessen schmutziger Wäsche, kramt eine Unterhose hervor und entdeckt auf deren Vorderseite einen Urinfleck. Dieser gelbe Fleck gibt meiner Arbeit ihren Namen. Dazu inspiriert hat mich ein Interview mit Stefan Heym im Magazin DER SPIEGEL. Heym erzählt darin von einem Freund, einem Juden, der zu Beginn der dreißiger Jahre Adolf Hitler unbedingt einmal leibhaftig erleben wollte – um zu wissen, mit wem er es zu tun habe, um herauszufinden, ob er ihn ernst nehmen müsse. Er geht schließlich zu einem öffentlichen Auftritt Hitlers und gerät unversehens ganz in die Nähe des Rednerpults. Als Hitler zu sprechen und herumzufuchteln beginnt, sieht der Jude zu seiner Überraschung zwei ganz gewöhnliche Schweißflecke in dessen Achselhöhlen. Und diese Ent­deckung macht es ihm unmöglich, Hitler zu fürchten und sich vor den Nazis in acht zu nehmen. Er bleibt in Deutschland und wird ermordet.

Diese Geschichte deutet auf etwas hin, worauf auch der Titel meiner Arbeit anspielt: Daß es Despoten immer wieder gelingt, von ihren Mitmen­schen als übermenschlich angesehen zu werden, als Götter oder als Teufel, nicht als menschliche Wesen. Was ihnen Anhänger wie Widersacher gleicher­maßen ausliefert und jeden traumatisiert, der mit ihnen in Berührung gerät. 

DER GELBE FLECK enthält keine direkten Hinweise auf historische Ereignisse oder Personen. Weder die Bilder, noch die Texte. Nur demjenigen, der die nationalsozialistische Architektur wiedererkennt, erschießt sich der Gegen­stand der Arbeit.

DER GELBE FLECK
Einleitung
Bilder
Ausstellungsfotos
Technische Daten
Kommentare/Presse