KARL V. WESTERHOLT    Fotografie, Texte - künstlerische Arbeit                                                                   Einleitung  <  Die Welt in Auszügen, Teil III  <  Home 


graue Linie


"Die Idee ist toll, ... aber ich weiß nicht, ob Sie das schaffen!"
Ulrich Domröse
Kurator der Photographischen Sammlung der Berlinischen Galerie, Berlin


Dieser jüngsten meiner Arbeiten ein paar nützliche Aussagen voranzustellen, fällt mir besonders schwer. Um nicht zu sagen, daß ich mich dazu nicht in der Lage fühle. Zu meinem großen Bedauern – denn DIE WELT IN AUSZÜGEN, TEL III ist mit Sicherheit die subtilste und vielschichtigste unter meinen Arbeiten, aber sie ist gleichzeitig auch die mißverständlichste, verwirrendste, die am wenigsten eindeutige und die am wenigsten offensichtlich künstlerische unter ihnen – weshalb gerade hier ein paar deutliche Worte dem Leser wahrscheinlich am ehesten von Nutzen sein werden.

Ich hatte mir vorgenommen, eine ausführliche Abhandlung über Entstehung und Inhalt der Arbeit zu verfassen, wie ich es bereits für den vorangegangenen Abschnitt der WELT IN AUSZÜGEN getan habe. Doch ich mußte mein Vorhaben nach einem Dutzend Seiten verwerfen, als ich feststellte, daß ich offensichtlich nicht umhin konnte, andauernd ins Anekdotische abzuschweifen. Es war zwar amüsant zu lesen, und es ist sicherlich auch verzeihlich, wenn man bedenkt, daß mich diese Arbeit innerhalb von fünf Jahren um die ganze Welt gebracht hat, aber ich wurde irgendwann das Gefühl nicht mehr los, ich würde nur deshalb um den heißen Brei herum reden, weil ich ihn nicht wirklich substanziell zu charakterisieren vermochte. So blieb mir nichts anderes übrig, als meine Unwissenheit hinzunehmen und das Unternehmen vorerst ruhen zu lassen.

Ich frage mich, ob ich diese Arbeit überhaupt jemals wirklich verstanden habe. Als ich mich ihr vor fünf Jahren zu widmen begann, hatte ich ein ganz eindeutiges Gefühl für das, was ich zum Schluß in Händen halten wollte. Ich konnte die Bilder klar und deutlich vor meinem inneren Auge sehen, und was ich sah, begeisterte mich ohne Abstriche. Aber das Gefühl erwies sich als so vielschichtig und komplex, daß ich es nur in den seltensten Augenblicken gedanklich zu fassen bekam und in Worte kleiden konnte. Und es war so zerbrechlich, daß es mir im Verlauf der vergangenen fünf Jahre oftmals vollkommen verlorenging. Das ficht mich heute nicht mehr an, denn ich konnte mein Vorhaben schließlich so umsetzen, wie ich es von Anfang an umgesetzt sehen wollte. Dennoch bleibt mir eine gewisse Sprachlosigkeit, wenn es an den Inhalt meiner Arbeit geht.

Ich erinnere mich meines ersten Versuchs, jemandem das Vorhaben auseinanderzusetzen. Ein verzweifeltes Unterfangen! Es war 1995 zu Beginn der Arbeit an DIE WELT IN AUSZÜGEN, TEIL III. Ich spazierte mit meiner damaligen Lebensgefährtin Julia Rahne und deren Sohn Fritz durch den Tiergarten. Es war Sommer, das Wetter vorbildlich, der Park menschenleer, ein üppig bestückter Picknickkorb in unmittelbarer Reichweite und Fritz' Aufmerksamkeit von seinem neuen Roller Modell "Toni" vollständig in Anspruch genommen. Die Voraussetzungen hätten günstiger nicht sein können. Ich erinnere mich an einen weitschweifigen Monolog, durch den ich mich mehr schlecht als recht hindurchwurstelte. Es ging um Kunst, Kitsch und Kultur, um die Fotoalben meiner Eltern, um Reisen, Touristen, Schnappschüsse, Knipser und Sehenswürdigkeiten. Vor allem jedoch ging es um Schönheit: um die Schönheit von Sehenswürdigkeiten, die Schönheit von Natur und die Schönheit der Welt überhaupt, um schöne Bilder und den scheinbaren Widerspruch zwischen Kunst und einer allgemein befriedigenden Form von Schönheit und um meinen Wunsch, endlich einmal Bilder zu machen, die ich mir auch selbst gern an die Wand hängen würde, ohne befürchten zu müssen, mich eines Tages entweder an ihrer Penetranz oder an ihrer Belanglosigkeit zu stoßen.

Schweres Geschütz planlos aufgefahren! Doch Julia war feinfühlig genug, mich meine verworrenen Gedanken in aller Ruhe ausführen zu lassen. Als ich damit fertig war, kam eine Weile lang gar nichts. Dann sagte sie: WOW! DA HAST DU DIR ABER WAS GROSSES VORGENOMMEN. Aber das ist nicht das amüsante an dieser Geschichte. Das amüsante ist, daß das Gespräch damit beendet war. Sie mußte mich verstanden haben! Ihre Bemerkung schien mir keinen Zweifel daran zu lassen. Mehr noch: Sie hatte offensichtlich nachvollzogen, was nachzuvollziehen mir selbst so ungemein schwerfiel, sofern es mir überhaupt jemals gelungen war. Mehr konnte ich wirklich nicht wollen. Und damit machten wir uns über den Picknickkorb her.

Und was will uns diese Geschichte sagen?
Daß der gedankliche Umgang mit DIE WELT IN AUSZÜGEN, TEIL III stets von großer Irrationalität geprägt war.

Trotz allem gibt es jedoch noch ein Exposé, verfaßt 1997 anläßlich der Ausschreibung eines Stipendiums, das auch den hartgesottenen Analytiker fürs erste zufriedenstellen dürfte. Ich zitiere:

"DIE WELT IN AUSZÜGEN, TEIL III setzt eine Arbeit fort, die ich 1990 begonnen habe. Obwohl nicht als Lebenswerk geplant, hat sich im Verlauf der Jahre gezeigt, daß meine unterschiedlichen Bildideen stets von den gleichen zwei Elementen bestimmt wurden: Von meiner Haltung – jenem gleichzeitig penetranten und anspruchslosen Blick, den ich auf unter­schiedliche Gruppen von Erscheinungen richte. Und von meinem Bestreben, durch eine geschlos­sene Auswahl von Bildern, den Eindruck zu erzeugen, eine bestimmte Gruppe von Erscheinungen systematisch erfaßt und erschöpfend dargestellt zu haben. DIE WELT IN AUSZÜGEN, TEIL III soll diese Tradition fortsetzen.

Der erste Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit Details einer städtischen Umgebung, der zweite mit Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs. DIE WELT IN AUSZÜGEN, TEIL III befaßt sich mit der Welt selbst, mit unserem Planeten und dem, was der Mensch daraus gemacht hat. Ich möchte mit einer geringen Anzahl von Bildern die Illusion einer systematischen, erschöpfenden Darstellung der Welt erzeugen. Das ist das Thema meiner Arbeit.

Es ist naheliegend, zur Verwirklichung eines solchen Vorhabens nach den Symbolen unterschiedlicher kultureller und natürlicher Erscheinungen zu suchen – nach dem, was man gemeinhin als Sehenswürdigkeiten bezeichnet. Diese Sehenswürdigkeiten sollen jedoch nicht thematisiert werden, sondern beiläufige Hinweise auf die übermächtige, befremdliche Vielfalt der Welt sein.

DIE WELT IN AUSZÜGEN, TEIL III verwendet verschiedene Elemente der fotografischen Technik und Bildaufmachung der Jahrhundertwende. Ich verleihe meinen Bildern eine altertümliche Erscheinung. Diese Maßnahme bringt die zeitliche Distanz zwischen dem Betrachter und den Bildern mit der räumlichen Distanz zwischen dem Betrachter und den Bildinhalten – den Sehenswürdigkeiten – in eine gefälschte Übereinstimmung. Der Eindruck von Fremdheit wird in dieser Verallgemeinerung zu einem vorherrschenden Bestandteil des Bildinhalts.

Die altertümliche Bildästhetik wird jedoch vor allem zu einem wichtigen Bezugspunkt – sowohl zwischen den sehr unterschiedlichen Sehens­würdig­keiten untereinander, wie auch zwischen der Gesamtheit der Sehens­würdigkeiten und dem Betrachter. Sie lenkt die Aufmerksamkeit von den Sehenswürdigkeiten selbst auf die historische Perspektive ihrer Wahrneh­mung. Das macht es möglich, die Cheops-Pyramide und Disney­world wie vollkommen gleichwertige Erscheinungen zu behandeln. Die Anwendung der altertümlichen Ästhetik nivelliert die unterschiedlichsten meiner Bildgegen­stände in ihrer Wertigkeit."

Es gibt eine gerahmte und eine Buch-Version dieser Arbeit. Die Buch-Version wird durch ein Bibelzitat eingeleitet, das ich auch den nun folgenden Abbildungen vorangestellt habe. Die Abbildungen entsprechen in ihrer Größe den Originalen.

Eine letzte Anmerkung noch:

Falls Ihnen diese Arbeit gefällt – es freut mich aufrichtig! Falls Ihnen die Arbeit nicht gefällt – ich kann Sie sehr gut verstehen! Falls Sie jedoch angesichts der Originale das unbestimmte Gefühl haben, die Arbeit ist richtig toll, gleichzeitig aber mißtrauisch sind, weil sie sich beim besten Willen nicht erklären können weshalb – vergessen Sie Ihr Mißtrauen! Die Arbeit ist tatsächlich toll! Ich weiß auch nicht warum, aber es ist so! Ich sag's Ihnen.  


DIE WELT IN AUSZÜGEN, TEIL III
Die Reisen des Käpt'n Brass
Einleitung
Bilder
Ausstellungsfotos
Technische Daten
Kommentare/Presse